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Förster Ralph Baumgärtel liebt die regelmäßigen Kontrollgänge durch sein Revier, das Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue, zu jeder Jahreszeit – auch im Winter, wenn der Nebel über den Wiesen und Gewässern aufsteigt und überall die Schreie der arktischen Wildgänse zu hören sind, die hier einen Stopp auf dem Weg nach Süden einlegen oder in der einzigartigen Landschaft überwintern.

Nirgendwo sonst in Deutschland findet sich eine so große Vielfalt an Vögeln wie in dem mit rund 2.400 Hektar überflutbarer Aue größten Naturschutzgebiet in Hessen. 250 verschiedene Vogelarten wurden schon auf dem Kühkopf gesichtet, darunter so seltene Arten wie das Blaukehlchen, der Gartenrotschwanz oder die Weidenmeise. „Dieser kleine Vogel zimmert seine Nisthöhlen selbst, dies ist aber nur in ganz weichem Holz möglich, wie es die Weiden zur Verfügung stellen“, weiß Baumgärtel. „Diese Bäume finden sich jedoch vor allem in Auengebieten, denn sie ertragen nicht nur ‚nasse Füße‘ an bis zu 200 Tagen im Jahr – sie sind sogar auf gelegentliche Überflutungen angewiesen. Nur dann entstehen feuchte und noch vegetationsfreie Rohböden, auf denen Weidensamen keimen können.“

Zu den rund 120 Vogelarten, die auf dem Kühkopf brüten, gehört auch der Mittelspecht, der für die Aufzucht seines Nachwuchses auf rauborkige Bäume wie die Eichen angewiesen ist. „Auch die Eiche kann bis zu 100 Tage im Jahr im Wasser stehen, ohne Schaden zu nehmen“, freut sich der Förster und engagierte Umweltschützer über die große Eichenpopulation in dem einzig noch verbliebenen naturnahen Auwald am Rhein. „Die Buche, die sich ansonsten gegenüber anderen Baumarten stets durchsetzt, gibt aber schon nach zehn Tagen Überflutung auf.“ Groß und mächtig erscheinen die Eichen am Wegesrand, die knorrigen, stark verzweigten Äste reichen weit in den Weg herein. Die Stämme mit der tief gefurchten borkigen Rinde erreichen eine Dicke, die es selbst drei Menschen fast unmöglich macht, sie mit ausgebreiteten Armen zu umfassen. Und: Die gebuchteten Blätter der Eiche lassen noch viel Licht nach unten durch und bieten so Lebensraum für Kräuter und Sträucher, die zu ihren Füßen wachsen – aber auch für zahlreiche Insekten.

Wasservögel kann man in dem Europa-Vogelreservat, das auch in das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 eingebunden ist, ebenfalls beobachten, zum Beispiel den Kormoran oder den Schwarzmilan, der über den ruhig dahinfließenden Altrheinarmen wunderbar nach toten oder kranken Fischen Ausschau halten kann, die nahe an der Oberfläche schwimmen. „Unser Wappentier bereitet uns derzeit allerdings etwas Sorge“, berichtet Baumgärtel. „Denn seine Zahl geht eindeutig zurück.“ Über den Grund wird durchaus kontrovers diskutiert. Ein Grund könnte die wachsende Uhu-Bevölkerung vor Ort sein, die es außer auf Mäuse auch schon einmal auf den Nachwuchs des 50 bis 60 cm großen Greifvogels mit dem gegabelten Schwanz abgesehen hat.

Vor allem zu Hochwasserzeiten sei der Kühkopf ein Paradies für Amphibien, erinnert sich der Förster an das letzte Hochwasser im Sommer 2013. „Danach waren hier Unmengen an Fröschen und Kröten unterwegs, auch viele sehr seltene Arten wie Knoblauchkröten oder Wechselkröten und der Moorfrosch. Nach einer Überflutung haben diese Amphibien die Gelegenheit, sich auf dem Kühkopf vor allem in der Nähe der ehemaligen Seitenarme des Rheins, Kisselwörth und Schlappeswörth, ohne ihre natürlichen Feinde zu entwickeln.“

Der außergewöhnliche Name „Kühkopf“ ist von der Form der Rheinschlinge abgeleitet, die an einen Kopf erinnert. Aber die Bezeichnung erinnert auch daran, dass der Kühkopf früher gerne als Jagdgebiet genutzt wurde, ein Recht, das jedoch nur die Könige hatten. Dies schlug sich im Namen „Kunigskopf“ nieder, der sich im Laufe der Zeit zu „Kühkopf“ weiterentwickelte.

Heute ist der Kühkopf eine Insel. Das war jedoch nicht immer so.  Ursprünglich war er einfach nur von einer Rheinschlinge umgrenzt, der sich viele verschiedene Wege suchte, bevor er in sein heutiges Bett gezwungen wurde. Schon Ende des 18. Jahrhunderts gab es Überlegungen, die Rheinschleife abzuschneiden, um durch einen geraderen Verlauf des Rheins die französischen Revolutionsarmeen während der Koalitionskriege besser stoppen zu können. Doch erst 1827 erfolgte letztendlich der Beschluss zum Durchstich. Mit einer Begradigung des Rheins kam es zu einer Eintiefung des Flusses und der Absenkung des Grundwassers in den rheinnahen Bereichen. Die Feuchtwiesen konnten nun in Ackerland umgewandelt werden. Auch der Schifffahrtsweg wurde um ca. 10 Kilometer verkürzt. Lange Zeit prägte Ackerbau den Kühkopf – auch nach der Erklärung zum Naturschutzgebiet im Jahr 1952. Erst 1983 wurde die intensive Landwirtschaft aufgegeben, nachdem ein Hochwasser den Sommerdamm durchbrochen und große Flächen des Kühkopfs überschwemmt hatte. Seitdem sind die urtümlichen Wälder der Weich- und Hartholzaue mit ihren größeren und kleineren Seitenarmen des Rheins und die ausgedehnten Schilfwälder sich selbst überlassen. 1.700 Hektar des Naturschutzgebiets gehören zum Kühkopf, der Rest zur nördlich angrenzenden Knoblochsaue.

„Für die Tiere und Pflanzen der Auenlandschaften, die es in Deutschland nur noch ganz selten gibt, ist das Naturschutzgebiet ein wichtiger Rückzugsort“, ist Baumgärtel überzeugt. „Aber auch für uns Menschen, denen das Areal faszinierende Einblicke in eine fast unberührte Natur gewährt.“ Doch dies ist ein zweischneidiges Schwert, dessen ist sich der Förster bewusst. An Spitzentagen bevölkern fast 10.000 Besucher die Rheininsel. Der Freizeitdruck auf die Flussaue, die inmitten der Ballungsgebiete Rhein-Main im Norden und Rhein-Neckar im Süden liegt, ist immens und wird nach Einschätzung von Baumgärtel noch steigen. „Unser Ziel ist es deshalb, unsere Besucher für den Naturschutz und seine Bedeutung zu sensibilisieren und ihnen die Wertigkeit unseres Naturschutzgebiets vor Augen zu führen. Dazu dient unser Umweltbildungszentrum im Hofgut Guntershausen mit mehreren Ausstellungen und zahlreichen Veranstaltungen – auch für Schulen und Kindergärten. Wir hinterfragen dort auch immer wieder den Umgang mit Flüssen und stellen die Bedeutung des Hochwassers für die Natur heraus. Es ist uns ganz wichtig, Menschen für dieses Thema zu gewinnen und zu begeistern. Vielleicht können wir auf diese Weise auch Entscheidungsträger in der Politik erreichen.“

Text: Ulla Cramer, Bilder: www.myodenwald.de

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Kontakt:

Umweltbildungszentrum Schatzinsel Kühkopf-Knoblochsaue
Hofgut Guntershausen
Außerhalb 27
64589 Stockstadt am Rhein
Tel. +49 6158 1886451
schatzinsel-kuehkopf(at)forst.hessen.de
www.schatzinsel-kuehkopf.de

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