Der Beruf des Schäfers zählt zu den ältesten der Menschheitsgeschichte. Doch er droht langsam auszusterben: Zu hart ist die Arbeit, zu gering der Ertrag. Markus Stapp aus Breuberg hat ihn trotzdem ergriffen – im Nebenerwerb und aus Berufung. Unterwegs mit dem letzten Wanderschäfer im Odenwald.

“… wir sind sieben Tage in der Woche im Einsatz …”
Die Bibel erzählt gern von Schäfern. Von Abel und Moses. Vom Hirtenjungen David, den Gott zum König ernannte, weil er sich vorher als zuverlässiger Beschützer seiner Tiere erwiesen hatte. Was ein „guter Hirte“ ist, ist im Psalm 23 nachzulesen: ein selbstloser Kümmerer, der seine Schäflein auf rechter Straße und zum frischen Wasser führt.
Auch der Schäfer der Neuzeit sollte über diese altruistischen Eigenschaften verfügen, denn seine Arbeit lässt sich nicht in ein 35-Stunden-Korsett zwängen. „Wir sind sieben Tage in der Woche im Einsatz“, erzählt Markus Stapp und räumt sofort auf mit den romantischen Vorstellungen, die so viele Menschen von seinem Beruf haben. „Den ganzen Tag mit den Schafen umherziehen, sie hüten, ruhig am Feuer sitzen – ganz ehrlich: Dafür hätte ich gern Zeit. Aber ich habe sie nicht.“ Dass er, was er tut, dennoch von ganzem Herzen liebt, wird in jedem Satz deutlich, den er spricht. Bedächtig, wohlüberlegt, denn er ist keiner, der jammert. Im Gegenteil.

“Mit Merino-Wolle ist nur ein geringer Erlös zu erzielen.”
Schäfer und ihre Herden, wie sie früher häufig durch den Odenwald zogen, haben ihn schon als Buben fasziniert. „Da ist vielleicht was schiefgelaufen in der Prägephase“, scherzt er lachend. Als er, da war er 15 Jahre alt, ein paar neugeborene Schäfchen mit der Flasche aufziehen durfte, war er sozusagen angefixt. Heute hält der 56-Jährige mehr als 300 Schafe und 40 Ziegen – im Nebenerwerb, neben seiner Arbeit beim Landkreis Darmstadt-Dieburg, wo er als Hausmeister angestellt ist. Nach Feierabend widmet er sich den Tieren. Ehefrau Rhonda unterstützt ihn täglich, auch die Tochter hilft mit. Samstag und Sonntag sind „Großkampftage“ für die Familie.
Das Schneiden der Klauen wird über das ganze Jahr verteilt, denn spätestens alle zwölf Monate muss jeder Paarhufer zur Pediküre. Besonders arbeitsintensiv sind der Mai und der Juni, wenn das Scheren ansteht. „Das geschieht im Sinne der Tiergesundheit, die Schafe würden irgendwann unter ihrer Wolle ersticken“, macht er deutlich. Da schmerzt es umso mehr, dass in seinem Stall noch eine große Menge Wolle lagert, die derzeit niemand haben will. „Wegen Corona ist der chinesische Markt dicht, in Deutschland ist nur für Merino-Wolle ein kleiner Erlös zu erzielen“, bedauert er.“ Klein heißt: 30 bis 40 Cent pro Kilo. Seine Wolle müsste er derzeit verschenken.

“Regionalität und Qualität müssen ihren Preis haben.”
Wachsender Beliebtheit erfreut sich dagegen das Fleisch seiner Tiere. „Viele Verbraucher verstehen, dass Regionalität und Qualität ihren Preis haben dürfen, ja müssen“, sagt Stapp. Ab 2022 will er seinen Schafbestand auf 400 Tiere vergrößert haben und ganzjährig Lammfleisch anbieten: große Keulen und Koteletts vom Deutschen Schwarzkopf, das zarte Fleisch des Coburger Fuchsschafs und die rare Delikatesse vom Ostpreußischen Skudden ein Geschmackserlebnis für Kenner. Ob diese Einnahmen die seit Jahren sinkenden Erträge abfedern können, weiß er noch nicht. Aber er wird es versuchen, denn Aufgeben ist keine Option. Wie viele seiner Kollegen ihren
Traumberuf schweren Herzens an den Nagel gehängt haben, belegen zwei Zahlen: Gab es 2005 noch um die 2500 Schäfer in Deutschland, waren es 2018 nur noch 998. Die Tendenz: weiter fallend. „Steigende Kosten, aber vor allem viele Auflagen und jede Menge Bürokratie erschweren die Arbeit“, erklärt der Schäfermeister, der die ökologische Leistung seiner Herden noch immer viel zu wenig gewürdigt sieht.

“Schafe sind umweltschonende Mähmaschinen.”
In der Landschaftspflege sind Schafe nämlich ebenso gründliche wie umwelt- und insektenschonende Mäh-Maschinen – gerade in schwer zugänglichen Hanglagen sorgen sie für blühende Landschaften und gepflegte Streuobstwiesen, ohne eine Spur der Zerstörung zu hinterlassen. Außerdem sind ihre Hinterlassenschaften der ideale Dünger. Stapp ist mit seinen Herden im Vorderen Odenwald vor allem im Dreieck zwischen Bad-König, Breuberg und Groß-Umstadt unterwegs, meist zu Fuß, aber auch mal im Transporter, wenn kleinere Gärten und Wiesen zu bearbeiten sind. Seine Auftraggeber sind Behörden, Unternehmer, Bauern und Privatleute, auf deren Flächen seine Tiere für gepflegte Ordnung sorgen. Während Ziegen auch Büsche niederknabbern, mögen Schafe lieber saftiges Gras – und Eicheln. „Sie sind Genießer und lieben die Abwechslung“, erzählt der Schäfer, der die Standorte je nach Jahreszeit, Witterung und Nahrungsangebot nach ein bis vier Tagen wechselt.

"… Herdenschutzhunde als treue Helfer…"
Viel haben Markus und Rhonda Stapp im vergangenen Jahr in den Herdenschutz investiert – in Netze und Elektrozäune, vor allem aber in ihre vierbeinigen Helfer. Auf insgesamt zwölf Hunde ist der Beschützertrupp mittlerweile angewachsen. Die Stapps haben die Tiere selbst ausgebildet, auch der erste Wurf der eigenen Zucht ist mittlerweile auf der Welt. Das Ehepaar engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft für Herdenschutzhunde (HSH), teilt sein Wissen über Herdengebrauchshunde wie Deutsche Schäferhunde und Altdeutsche Hütehunde und wirbt für den Einsatz von Pyrenäenberghunden, die ständig bei den Tieren bleiben. „Es ist hochinteressant zu beobachten, wie sie mit Gefahren umgehen“, erklärt Markus Stapp. „Sie versuchen immer, eine Distanz zwischen den Tieren und dem Angreifer herzustellen.“ Der kommt aus Unwissenheit leider oft auf zwei Beinen daher. Stapp erzählt von Hundehaltern, die leichtfertig in die Herde hineinmarschierten, um ihre nicht gehorchenden Vierbeiner zurückzuholen, oder von einer Dame, die beim Gassigehen ein neugeborenes Schäfchen entdeckte: „Sie hat es mitgenommen, weil sie dachte, es sei in Not. Dabei war sie selbst noch viel hilfloser und hat es in Lebensgefahr gebracht, denn die ersten Stunden mit der Mutter sind entscheidend. Wir waren sehr froh, dass es überlebt hat.“ Aufklärungsarbeit liegt ihm daher sehr am Herzen: Immer wieder bietet er Interessierten Besuche bei seiner Herde an oder engagiert sich beim Schäfertag des Odenwälder Schäfervereins.

“Der Wolf wird zu einer immer realeren Bedrohung.”
Doch auch ein altbekannter vierbeiniger Räuber wird zu einer immer realeren Bedrohung: der Wolf, der nun auch wieder im Odenwald gesichtet wird. „Der Wolf ist hochintelligent und stinkfaul. Der jagt nicht, wenn er sein Essen auf dem Präsentierteller serviert bekommt. Daher gehe ich davon aus, dass es in den kommenden Jahren zu Übergriffen kommen könnte“, glaubt Markus Stapp – so wie vor zwei Jahren in Hüttenthal, wo ein Wolf mehrere Weidetiere gerissen hatte. Stapps Pyrenäenberghunde sollen einen ähnlichen Angriff auf seine Herden verhindern. Der Hirte wird die Lage wachsam beobachten, so wie er auch die Entwicklung der deutschen Schäferei beobachtet. In einigen Jahren will er in Rente gehen – als Angestellter beim Landkreis Darmstadt-Dieburg wohlgemerkt, aber keinesfalls als Schäfer. Das ist eben der Unterschied zwischen Beruf und Berufung. Und außerdem geht ja dann einer seiner Wünsche in Erfüllung: mehr Zeit zu haben zum Wandern mit den Schafen.

Text: Ute Maag, Bilder: www.myodenwald.de
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